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Sechzehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit, auch für eine Band deren Musik nahezu zeitlos erscheint. In diesem Falle geht es um Illuminate, welche mit Zeit der Wölfe dieser Tage einen weiteren musikalischen Schritt in ihrer Geschichte gegangen sind. Eine Geschichte, die laut Johannes Berthold, seines Zeichens "Patriarch" dieser Band, wohl noch lange nicht zuende geschrieben ist...
Otti:
Mit Zeit der Wölfe erscheint dieser Tage euer neuestes Studioalbum, ein ziemlich ausgereiftes Werk, wie ich finde. Was hat euch denn getrieben, eine solche Art musikalische Märchen-Collage zu schaffen?
Johannes:
Vielen Dank erst mal für das Lob! Man muss bezüglich des "Antriebes" sagen, dass es einen solchen zu Beginn der Arbeit an unserem Album eigentlich gar nicht gegeben hat. Jedenfalls nicht in bezug auf eine Geschichte oder ähnliches. Ich wollte vielmehr ein "ganz normales" Album veröffentlichen, auf dem einfach ein paar gute neue Songs enthalten sind. Ganz ohne Konzept also. Als ich dann aber nach einem griffigen Titel für das Album gesucht habe, bin ich auf einen uralten Song von uns gestoßen – "Zeit der Wölfe" aus dem Jahre 1999/2000, den ich damals exklusiv für einen Sampler geschrieben hatte. Sowohl der Titel, als auch die Story in dem Lied haben mir so gut gefallen, dass sich die Idee mit dem Rotkäppchen-Motiv entwickelt hat und die ganze Struktur drum herum entstanden ist.
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"All das Schöne und Wundervolle, das ich selbst am eigenen Leib erfahren durfte möchte ich natürlich weitergeben!"
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Otti:
Faszinierend am Album finde ich vor allem euere Fähigkeit, Themen wie Missbrauch, Gewalt und Tod in märchenhafte Metaphern zu fassen. Was hat euch beim Schreiben der Stücke inspiriert? Und sind auch "alte" Märchen wie die der Gebrüder Grimm oder von Anderson vielleicht Synonyme für Probleme ihrer Zeit?
Johannes:
Auf alle Fälle beinhalten die alten Märchen moralische Vorstellungen und Problematiken ihrer jeweiligen Epoche. Gerade das Motiv des Rotkäppchens finde ich persönlich unheimlich spannend und vielschichtig, da es primär nicht nur um das arme, unschuldige Mädchen geht, das vom rechten Weg abgekommen ist, sondern auch um den Wolf (bei uns: den Menschenwolf) – also um das Animalische, Triebhafte, Destruktive und Besitzergreifende am Mann/Mensch. Die Geschichte ist aber auch so zu deuten, dass das Rotkäppchen ja prinzipiell nicht abgeneigt gegen ein (sexuelles?) Abenteuer wäre – dies zeigt sich schon in der Farbwahl ihres Kleidchens: rot wie die Sünde (laut farbpsychologischer Analyse) als Kontrast zum unschuldigen Weiß! Wir haben diese Konstellation halt ein bisschen weiter gesponnen und die Geschichte quasi in die heutige Zeit transferiert und dramaturgisch ein bisschen überspitzt.
Otti:
Wenn ihr an einem Album wie z.B. Zeit der Wölfe arbeitet, läuft dann alles harmonisch ab? Oder gibt es da auch mal Streit und Probleme?
Johannes:
Natürlich gibt es auch mal Meinungsverschiedenheiten, aber diese halten sich absolut in Grenzen! Ich muss dazu sagen, dass ich auch mit meinen Bandkollegen Jörn und Matthias persönlich nicht übermäßig großen Kontakt außerhalb der Band habe. Wir sehen uns eigentlich ausschließlich nur dann, wenn es um Illuminate geht. Das hat nicht zuletzt mit der geographischen Entfernung zwischen uns Dreien zu tun. Wir treffen uns also so gut wie nie "nur so" auf ein Bier am Abend oder ähnliches.
Auch die Arbeitsweise an den Stücken ermöglicht eine nahezu reibungsfreie Atmosphäre, da ich die Songs größtenteils daheim komponiere und vorbereite und die Jungs dann ihren Part im Studio "oben drauf" spielen. Anders herum ist es ähnlich, wenn z.B. Jörn ein Stück schreibt und ich dann später im Studio versuche, einen Text dafür zu finden oder meinen Part der Aufnahmen übernehme.
Streit und Probleme gibt es oftmals bei Bands und Projekten, bei denen von vornherein ungeklärt ist, wer das Ruder innerhalb der Gemeinschaft übernimmt. Sehr vielen Bands, die auf dem Sprung in größere Erfolgsgefilde waren, hat dies das Genick gebrochen, da bekanntlich zu viele Köche den Brei verderben. Ich habe schon viel Kritik einstecken müssen, die mir vorwarf, mich bei Illuminate manchmal wie der Patriarch aufzuführen – aber der Erfolg gibt einem hier einfach Recht! Wenn zu viele Meinungen berücksichtigt werden müssen, kommt man selten ans Ziel. Wenn aber konsequent einer/eine sagt, wo es langgeht und wie sich ein Thema/Produkt entwickeln soll, ist die Entwicklung öfter mal von Erfolg gekrönt! So ist das halt...!
Otti:
Neben all den "düsteren" Metaphern klingt bei den Stücken auch immer ein wenig Hoffnung und Sehnsucht durch. Welche Dinge sind es denn, für die es sich zu leben und zu kämpfen lohnt?
Johannes:
Ganz einfach Antwort: Für das Leben als solches! Wir haben nur dieses eine, und die wenige Zeit, die wir auf diesem – trotz allem wundervollen! – Planeten verbringen dürfen, müssen wir nutzen! Dann bin ich noch Vater, und hier fällt die Antwort auch recht einfach: Ich lebe und kämpfe natürlich für mein Kind / meine Kinder! All das Schöne und Wundervolle, das ich selbst am eigenen Leib erfahren durfte (durch das Aufwachsen in einer liebe- und verständnisvollen Familie), möchte ich natürlich weitergeben! Keine Frage!
Otti:
Welchen Stellenwert würdet ihr euerer Musik in der heutigen Zeit geben, wo Casting-Opfer und Clubbeats die Medien beherrschen?
Johannes:
Sich selbst einen Stellenwert zuzuordnen, ist ein wenig vermessen! Aus den vielen Rückmeldungen von Fans und Freunden unserer Musik kann ich aber ableiten, dass wir halt eine Art Institution darstellen, auf die sie sich ein wenig verlassen können. Wenn die Leute eine CD von Illuminate kaufen, wissen sie, dass auch genau diese Musik drinsteckt! Das ist vielleicht eine Art Verlässlichkeit, die es an anderen – schnelllebigen - Stellen nicht mehr so häufig gibt?! Wir verkaufen uns nicht für irgendeinen Trend oder zum Anbiedern an die Charts und Clubs, sondern machen seit 16 Jahren die Art von Musik, die uns selbst gefällt. Dass dies manchen zu kitschig oder zu "schlagerartig" ist, soll mal als legitim dahingestellt sein – für viele Tausend Fans ist es aber gerade das Schöne an der Band.
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Otti:
16 Jahre seid ihr nun schon aktiv als Band dabei. Was hat sich in eueren Augen in dieser Zeit in der schwarzen Szene gewandelt? Inwieweit könnt ihr euch mit den Gothics 2008 überhaupt noch identifizieren?
Johannes:
Das würde jetzt alles voraussetzen, dass wir für die schwarze Szene Musik machen oder und selbst als Gothics, Grufties oder ähnliches betrachten. Das ist aber nicht der Fall! Wir machen Musik für Leute, die gerne Musik hören. Ob das jetzt Gothics, Metaller, Popper, Rocker oder Punks sind, ist überhaupt nicht relevant. Auf unseren Konzerten sind z.B. auch Eltern mit ihren Kindern oder "Normalos" in Cordhose und Anorak. Natürlich sind wir aber trotzdem ein Teil dieser Subkultur, da wir uns auch bevorzugt in Schwarz kleiden und natürlich eine hohe Affinität zum ganzen Lebensgefühl innerhalb der schwarzen Szene besitzen. Aber ich war noch nie bestrebt, mich mit einem temporären Trend zu "identifizieren", da mir auch die Messeinheiten für solche Dinge fehlen. Ich merke zwar als DJ in den Clubs (was ich hin und wieder "nebenberuflich" mache), dass sich der Musikgeschmack vollständig verdreht hat (und nichts mehr mit den Songs zu tun hat, die Anfang der 90er in den schwarzen Clubs angesagt waren) – aber Mensch...da liegen halt auch drei Generationen an neuen Szenegängern dazwischen. Man rechnet ja, dass sich ca. alle 5 Jahre das Publikum innerhalb der Szene quasi "erneuert". Die nachwachsenden "Schwarzen" haben einen ganz anderen Background, als wir Kinder der 70er und 80er Jahre. Die neue Generation ist mit Techno, Hip-Hop und ähnlichem Schund (sorry!) groß geworden. Natürlich bringen sie diese Prägung mit in die Szene!
Otti:
Ich höre derzeit von einigen Musikern Klagen über die kommerzielle und den Mainstream adaptierende Arbeitsweise vieler sogenannter Underground-Magazine und Konzertveranstalter. Welche Erfahrungen habt ihr da gemacht?
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Johannes:
Nun ja...was soll ich sagen? Ich bin selbst ein Unternehmer und weiß daher, dass man ein wenig mit dem Zeitgeist gehen muss, wenn man überleben will! Das ist doch auch irgendwie eine ähnliche Situation, wie kürzlich mit Marcel Reich-Ranicki, als er das deutsche Fernesehen (zurecht!) kritisiert hat. Hochwertige Veranstaltungen, intellektuelle Formate und kulturell wertvolle Angebote sind schön und gut und sicherlich für einen kleinen Teil der Bevölkerung auch ganz, ganz wichtig. Die breite Masse lockst Du damit aber nicht (mehr) hinter dem Ofen hervor. Ob das nun gut ist oder schlecht (sicherlich eher letzteres!), ist eine andere Diskussion. Fakt ist aber, dass Konzertveranstalter, wie auch Herausgeber von Magazinen schauen müssen, wie sie in der harten Welt der konkurrierenden Angebote überleben können. Ich fände es auch schöner, wenn ich mehr Angebote mit unbekannteren Bands hätte, über die ich lesen kann und die ich abends im Club live sehen und hören darf. Aber außer mir wären dort dann noch vielleicht zehn oder zwölf andere Gäste! Das wurde doch schon alles ausprobiert! Ähnliches bei den Magazinen: Wenn Dich vom Titel der Robert Smith oder Dave Gahan anglotzen– höchstenfalls vielleicht noch der Chris Pohl (Achtung: Ein ganz lieber Kollege!!!) – greifen eben mehr Leute nach dem Heft, als wenn Dir unbekannte (aber vielleicht tausendmal bessere?) Bands präsentiert werden. Und da zählt nur der harte Euro. Das ist wirklich sehr, sehr traurig, aber ein Problem, das wir nicht werden ändern oder gar aufhalten können...!
Otti:
Derzeit macht ihr euch Live recht rar. Woran liegt das? Wird es eine Tour zu "Zeit der Wölfe" geben?
Johannes:
Wir waren Anfang 2007 zum letzten Mal auf größerer Tournee. Da es in der Zwischenzeit kein neues Album von uns gab, hatten wir keinen Grund, verstärkt Konzerte zu geben. Da würde zu vielen Leuten der Anreiz fehlen, abends hinzugehen (siehe auch meine letzte Antwort!). Wir werden aber im April/Mai 2009 eine größere Tour zum neuen Album machen. Kein Angst also...wir kommen wieder!!! :)
Otti:
Wer sind denn für euch die schlimmsten "Wölfe" der Gegenwart?
Johannes:
Ganz ohne wertende Reihenfolge: Kinderschänder; Heuschrecken-Kapitalisten; manche "lieben" Kollegen in der Musikbranche; Politiker, die um jeden Preis und über jede Leiche an die Macht streben (hallo, Frau Ypsilanti!), sowie einige Bänker.
Otti:
Rückblickend gesehen, was waren die bewegendsten Momente in 16 Jahren Illuminate?
Johannes:
Oh weih...das ist ja fast nicht zu beantworten! In dieser Zeitspanne, die ja immerhin fast mein halbes bisheriges Leben darstellt, gibt es dermaßen viele Ereignisse, dass es kaum möglich ist, hier ein, zwei Sachen herauszupicken. Vielleicht könnte man den ersten großen Vertriebsdeal mit einem Major (damals WARNER) dazu zählen, sowie die ersten Auftritte beim Wave-Gotik-Treffen und dem Zillo-OpenAir 1997?! Aber eigentlich ist jedes der rund 300 Konzerte in den letzten 16 Jahren einmalig und schön gewesen...! Ganz schwierig zu beantworten also!
Otti:
Welche Träume, Ziele und Ideen treiben euch noch an, weiter Musik zu machen?
Johannes:
Solange es mir nicht peinlich ist, auf der Bühne herumzukaspern, und so lange ich noch ernsthaft behaupten kann, dass es mir selbst gut gefällt, was ich da an Musik veröffentliche, möchte ich gerne weitermachen! Sollte ich jemals das Gefühl bekommen, dass ich nur noch einem "Markt" gefallen möchte oder die Musik nur noch des reinen Verkaufes wegen schreiben müsste, wäre das der Punkt, wo ich aussteigen würde. Nichts ist schlimmer, als die ganzen ehemals erfolgreichen Sängerinnen und Sänger zu sehen, die auf Butterfahrten oder Möbelhaus-Eröffnungsfeiern singen müssen, um wenigstens noch von zehn Leuten Applaus zu bekommen. So nötig hatte und habe ich das ganze Business Gott sei Dank nicht!
Otti:
Und was wollt ihr unseren Lesern auf keinen Fall vorenthalten?
Johannes:
Bleibt wie und was Ihr seid! Lasst Euch nicht von irgendeiner "Geschmackspolizei" erzählen, was Ihr für gut oder schlecht zu halten habt! Macht Euch ein eigenes Bild und hört auf Euer Herz und Euren Verstand! Lasst Euch nicht verbiegen, sondern bewahrt Euch Eure wundervolle und einzigartige Individualität! Das ist das größte Geschenk, das man bekommen hat!!!
Liebe Grüße!
Johannes Berthold
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