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Interview (Literatur)Blättern: Vorheriger Artikel | Nächster Artikel

Oswald Henke

Gut gelaunt kam er daher an diesem Herbstnachmittag, fast wie befreit. Oswald Henke ist sicher einer der kreativsten Köpfe der schwarzen Szene, und hat mit seinen Projekten, allen voran natürlich Goethes Erben, Musikgeschichte geschrieben.Vor kurzem ist zudem sein drittes Buch erschienen, zu dem er eben an diesem Tage auf Lesetour war, und für 2009 ist auch schon das nächste Projekt geplant.
Aus all dem ergab sich ein mehr als interessantes Gespräch, welches letztlich doch viel zu schnell wieder vorbei war:

Otti:
Das letzte Mal haben wir vor knapp 2 1/2 Jahren zu einem Interview zusammengesessen, damals zu Goethes Erben, da warst Du gerade frisch verliebt. Jetzt hast Du ein Buch herausgebracht mit dem Titel Ich hab mir die Liebe abgewöhnt. Wie passt das zusammen, und wie gehts dir im Moment?
Oswald:
Mir gehts gut! Ich kann nicht klagen. Viel zu tun, viel Arbeit, aber mir gehts gut, ich bin zufrieden.
Otti:
Okay, und was hat dich in den letzten zwei Jahren am meisten bewegt?
Oswald:
Veränderung, einfach weg vom Musikbusiness und hin zu einem anderen Leben, wo man mit anderen Dingen sein Geld verdienen kann.
Otti:
Zum Beispiel Bücher schreiben.
Oswald:
Naja, damit verdient man ja auch kein Geld. Ich mache halt die unterschiedlichsten Sachen, und verdiene dann meinen Lebensunterhalt mit all diesen Tätigkeiten zusammen.
Otti:
So eine Art Lebenskünstler also?
Oswald:
Nein, so würde ich das nicht nennen. Ich arbeite schon sehr straight zu festen Bürozeiten, aber halt weiterhin selbstständig, und zwar in beratender Funktion im Bereich Marketing und Markenmanagement. Das gefällt mir ganz gut und es hält mir jetzt den Rücken frei, um kreative Dinge wie Zeitenwände zu verwirklichen, die ich mir sonst gar nicht hätte leisten können.

Otti:
Okay, zu Zeitenwände kommen wir später noch, jetzt erstmal zum neuen Buch. Mir ist aufgefallen, daß es doch sehr ähnlich aufgebaut ist wie das letzte, Spaziergang durch ein Minenfeld. Es enthält auch Kolumnen, Gedichte...
Oswald:
Da ist schon ein großer Unterschied, Ich hab mir die Liebe abgewöhnt enthält viel mehr Gedichte. Spaziergang durch ein Minenfeld hat auch zwei Musiktheaterstücke enthalten, im neuen gibt es sowas überhaupt nicht. Und das ist auch eindeutig die Tendenz hin zu neuen Linien, die ich in meinem kreativen Bereich sehe. Ein Teil der Texte, die in diesem Buch abgedruckt wurden, habe ich natürlich schon mit Fetisch:Mensch vertont, aber es unterliegen dem keine Musiktheaterkonzepte. Das Theaterstück welches ich mit Markus Förster geschrieben hab taucht da auch nicht auf, nicht einmal in Fragmenten.
Otti:
Aber mal einen Roman oder so zu schreiben würde dir nicht vielleicht liegen?
Oswald:
Ich sage nie "nie", aber im Moment interessiert mich sowas nicht. Nen Roman schreiben? Da muss man recherchieren und so Zeug machen, das ist nicht so mein Ding.
Otti:
Für viele andere Menschen wäre das ja ihr Traum.
Oswald:
Alle Träume die ich habe die verwirkliche ich! Ich bin nicht der Mensch der nur darüber redet, sondern ich arbeite auf meine Träume hin und realisiere sie, oder ich scheitere.


"ich prophezeie jetzt innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Bürgerkrieg innerhalb von Europa!"

Otti:
Du thematisierst in deinem Buch unter anderem auch die Verkommerzialisierung unserer Szene, und kritisierst unter anderem im letzten Beitrag die Leute, die ihre Arbeit NUR noch machen um Geld zu verdienen.
Oswald:
Da muss man ein bisschen differenzieren. Wenn man ausschließlich dafür arbeitet, um Geld zu verdienen, ohne dabei Spaß zu haben, dann sollte man sich die Frage stellen: Macht das dann Sinn? Man verbringt ja nunmal sehr viel Zeit auf dem Arbeitsplatz, beziehungsweise mit seiner Arbeit. Und wenn mir das keinen Spaß macht, verschwende ich ja letztlich Zeit, die ich anders nutzen könnte. Zum Beispiel in einem Beruf der zwar vielleicht nicht so gut bezahlt wird, aber in dem ich mehr aufgehe. Natürlich arbeitet man auch um Geld zu verdienen, von "Nichts" kann man nicht leben, aber eben nicht als alleinigen Zweck.
Otti:
Ich stell dir diese Frage eben auch weil ich immer wieder in Gesprächen mitbekommen habe, im Pressebereich, aber auch beim Booking, da geht es oft wirklich nur noch um die Kohle. Da wird nicht mehr der Nachwuchs gefördert, da wird auch nicht versucht Sachen einfach um des Spaßes Willen zu machen.
Oswald:
Diese Szene hat sich irgendwann mal dazu entschlossen, sich an großen Vorbildern zu orientieren, was Pressearbeit angeht, aber auch die Arbeit von Bookingagenturen und Konzertveranstaltern, ebenso was manche Bands und deren Management sich gedacht haben, welchen Weg sie durchziehen müssten. Da gabs mal diese, ja "Vivamanie" könnte man schon fast sagen, als jeder ein Video drehen musste, damit er auch mal bei Viva gespielt wird. Ist ja auch ganz nett, wenn man sich dann mal auf einem Musiksender sieht, hab ich damals eben selbst auch erleben dürfen. Aber das bringt einem nichts, also rein gar nichts, außer daß es vielleicht das Ego ein wenig streichelt und man danach einen Haufen Schulden hat, weil so ein Videodreh echt furchtbar viel Geld kostet.
Oder diese "Pressearbeit" die darauf hinausläuft, daß nur wenn ich eine Anzeige im Magazin schalte, bekomme ich auch einen Artikel in diesem Heft - Ich bitte da jetzt einfach mal den aufmerksamen Leser, darüber nachzudenken!
Otti:
Ist dir das denn auch schon passiert, daß jemand zu dir gesagt hat: Entweder Du zahlst, oder wir schreiben einfach nix über Fetisch:Mensch? Oder gar damals bei Goethes Erben?
Oswald:
Nein! Weil ich dieses Spiel ja nicht mitmache. Ich weiß, daß es solche Deals gibt aber da gehe ich nicht drauf ein.
Otti:
Gerade im Nachwuchsbereich wird da aber viel versucht.
Oswald:
Ja, schau doch diese ganzen Nachwuchsbands an... Die kaufen sich auf diese CD-Beileger ein, deshalb sind diese auch so schrecklich schlecht! Weil den Jungs keiner sagt, daß sie erstmal aussieben sollten, bevor sie etwas von sich veröffentlichen. Ich finde das Bedürfnis etwas öffentlich zu machen ja okay, aber man sollte doch soviel gesunde Selbstkritik mitbringen, um zu entscheiden, was gut genug ist um es unter die Leute zu bringen. Dadurch disqualifizieren sich diese CD-Beiagen auch komplett! Die interessieren ja keinen mehr, ich glaube sogar daß jeder zweite das Ding nichtmal in seinen CD-Player legt - Wenn er denn überhaupt noch nen CD-Player hat.
Otti:
Ganz ehrlich, ich glaube in Zeiten von MySpace etc, wo man sich jederzeit über verschiedene Musik informieren kann, sind solche CD-Sampler auch gar nicht mehr notwendig.
Oswald:
Ja, ich denke das ist rausgeschmissenes Geld, und eigentlich auch ne Form von Umweltverschmutzung, diese CD-Dinger. Sie haben ihren Sinn verloren, sie waren irgendwann mal eine Ergänzung zum Magazin. Das Codex-Magazin hat das erfunden damals in Deutschland, und das Konzept war dabei, einen sehr ausführlichen Bericht zu bringen, und diesen mit Tonbeispielen aus 1-2 Liedern zu ergänzen. Allerdings haben die dann auch wirklich nur über interessante Leute berichtet, und nicht über irgendwelche Wald-und-Wiesen-Plagiatbands. Das ist heutzutage leider verkommen.
Die Magazine jammern, aber sie sind halt selber dran schuld. Über Jahre haben sie die Szene, die großen Namen die es darin gab, vernachlässigt, bis die dann ausgestiegen sind. Jetzt fällt es schwer überhaupt noch interessante Themen zu finden, über die man berichten könnte.
Otti:
Oder es werden welche kurzzeitig produziert und dann doch wieder fallengelassen, wie beim "Großen Vorbild" eben.
Oswald:
Ja es ist leider so. Das hab ich erkannt, und hab da für mich Schlüsse draus gezogen. Zum Beispiel bei Fetisch:Mensch gebe ich einfach gar keine Interviews, das dürfen meine Bandkollegen machen. Das machen die auch gut, ich hab nichts damit zu tun, und so gefällt es mir am Besten!

Otti:
Also ist Fetisch:Mensch im Endeffekt für dich eine Spielwiese, wo Du dir sagst, da kannst Du dich zwanglos austoben?
Oswald:
Nein, das würde ja die Band herabqualifizieren. Fetisch:Mensch ist eine ganz andere Arbeitsweise als damals Goethes Erben, oder auch Erblast, oder wenn ich jetzt alleine mit einer Lesung unterwegs bin. Fetisch:Mensch ist eine Banddemokratie, das sind vier Leute, bei denen die Ideen und Vorstellungen unter einen Hut gebracht werden müssen. Das sind eben auch vier Egos, die befriedigt werden wollen. Wobei Dirk nicht so der Dominante in der Band ist, er ist dann eher der Vermittler. Aber mit Tim, mit Jochen und mit mir da prallen dann manchmal ziemliche Energien aufeinander, da wir auch sehr unterschiedliche Ansätze haben, Musik zu machen. Doch das was dann entsteht ist dann auch wieder der Beweis dafür, es lohnt sich auchmal im Kreativprozess zu leiden.
Otti:
Und zurückzustecken?
Oswald:
Auch zurückzustecken, das musste ich gerade lernen, und das hat mir auch ganz gut getan. Ich arbeite gut mit der Band zusammen, mit den Leuten von Fetisch:Mensch - Aber ich möchte jetzt nicht nur mit denen meinen Lebensabend verbringen, sondern auch weiter andere Projekte umsetzen, wie dieses Jahr Zeitenwände und im nächsten Jahr eben das Projekt Henke.
Das heisst allerdings auch nicht, daß es keine Konzerte mehr mit Fetisch:Mensch geben wird. Fakt ist nur, derzeit gibt es keine Konzerte unter dem Namen Goethes Erben.

Otti:
Über dieses Henke habe ich allerdings heute erst kurz was gelesen. Warum geht es da genau? Um dein komplettes Schaffen? Oswald:
Da geht es um mein komplettes Schaffen, ausgegrenzt Fetisch:Mensch weil die Band ja noch aktiv ist, aber alles was ich bislang gemacht habe, das möchte ich in einem neuen Programm mit ganz neuen Musikern erarbeiten und integrieren. Dafür habe ich mir Musiker aus meiner Region gesucht, und diese Band stelle ich jetzt für ein Jahr zusammen. Wir werden auf drei Festivals spielen, auf eine Tournee oder Clubtour habe ich keine Lust. Ja, wir werden versuchen auf drei Festivals gebucht zu werden, und werden dann da ausschließlich auftreten.
Otti:
Ich denke da wird es wohl keine Probleme geben, Termine zu kriegen.
Oswald:
Man wird es sehen.

Otti:
Solche exklusiven Sachen buchen die Veranstalter ja immer recht gerne.
Oswald:
Klar, aber man kann nicht immer alles exklusiv haben! Ich meine, es gibt auch die Möglichkeit Fetisch:Mensch zu nehmen, nur scheint da das Interesse im Moment nicht so groß zu sein seitens der Veranstalter, und ich bin eben auch nicht der Mensch, der Klinken putzt.
Otti:
Würde ich an deiner Stelle heutzutage auch gar nicht mehr machen, wofür auch?
Oswald:
Wenn ich auf die Bühne gehe dann will ich da Spaß haben, und nicht das Gefühl haben ich muss mich da prostituieren.

Otti:
Allgemein mal zum schwarzen Leben, zum "Gothic sein". Wie würdest Du das heutzutage für dich definieren?
Oswald:
Ich lebe im Endeffekt genauso wie früher. Ich habe immernoch eine bevorzugte Musikrichtung, die zwar düster ist, aber nicht mehr sehr viel zu tun hat mit dem, was in diesen Magazinen rauf- und runtergewedelt und vorgestellt wird. Das ist etwas, was mich nicht anspricht, denn ich kann mit diesem ganzen Elektrokram nix anfangen, der so pseudodüster daher kommt und in jeder zweiten Textzeile ein "Blood" und ein "Kiss" enthält..
Otti:
Oder ein "Fuck"?
Oswald:
Oder ein "Fuck", ja. Das böse F-Wort, sprich "Ficken", das ist sehr beliebt geworden. Das spricht ein wenig dafür, und dahin gehen auch meine Beobachtungen, daß ich auf diesen ganzen Partys oder Festivals das Gefühl habe, ich bin auf einer schwarzen Ballermann-Veranstaltung. Und das ist nicht so das Niveau, mit dem ich mich abgeben möchte.
Otti:
Du meinst auch dieses "sehen und gesehen werden"?
Oswald:
Noch nicht mal das! Die laufen ja auch rum wie die letzten... Es geht da mehr darum, sich bis zum letzten Halbkoma zu betrinken, und das ist nicht gerade das, worin ich Sinn sehe. Einerseits beschweren sich diese Leute über den Rest der Gesellschaft, und letzten Endes ziehen sie sich schwarz an, und machen das Gleiche in schwarz.
Otti:
Schwarzes Karneval.
Oswald:
Ja!

Greenist

Otti:
Bei unserem letzten Treffen hast Du im übrigen prophezeit, daß der Turbokapitalismus mal so ne richtige Ohrfeige kriegen wird...
Oswald:
Jaaa! ich bin ein Prophet! Ich wusste es!
Otti:
Das musste ich jetzt einfach mal ansprechen. ;)
Oswald:
Ich habe da vor 2 1/2 Jahren schon kommen sehen, und mich hält man ja immer für bescheuert! Als ich das blaue Album herausgebracht habe, habe ich schon gesagt, die Internet-Piraterie wird irgendwann ganz vielen Bands und Plattenfirmen den Kopf kosten, das war 1995. Und wo stehen wir jetzt?
Also, ich bin ja ungerne Prophet, aber wenn man einfachmal mit wachem Verstand durch unsere Medienlandschaft oder unsere Gesellschaft geht, dann kann man sich das an 5 Fingern abzählen, was passieren wird. Und ich prophezeie jetzt innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Bürgerkrieg innerhalb von Europa!
Otti:
Wie kommst Du jetzt darauf?
Oswald:
Das ist die logische Konsequenz aus dem, was derzeit passiert!
Otti:
Schaun mer mal!
Oswald:
Ja! Ich bin übrigens einer der Anführer einer Rebellengruppe dann!
Otti:
Vielleicht mach ich mit...
Oswald:
Gut! Gch hisse heut mein Banner!
Otti:
Das will ich sehn!
Oswald:
Es ist ein Tarnbanner. Aber man sieht es auf der Bühne, ich hab extra drei Fahnen mitgebracht, ausgeliehen vom roten Kreuz.
Otti:
Gleich drei?
Oswald:
Ja, aber so kleine, so zum... winken.
Otti:
Na dann brauchen wir aber noch jemanden der mit macht. Oswald:
Na drei Leute werden heut schon noch kommen... denk ich.
Zur Not müssen das meine Merchandiser machen, und Michaela die Verlagsleiterin... Das kriegen wir hin!
Otti:
Na gut, dann bin ich dabei!
Oswald:
Siehst Du, dann sind wir ja schon zu viert. Das wird eine nette kleine Lesung heute, mit vier Leuten mindestens!
Otti:
Und der Hund da hinten?
Oswald:
Nein, der wird nicht zur Lesung kommen, glaub ich nicht.

Otti:
Ein traurigeres Thema ist ja leider auch die Schließung der Zeche Carl, ich weiß nicht ob Du mitbekommen hast was da passiert?
Oswald:
Ja, ich habe in der Zeche ja viele Goethes Erben-Konzerte gegeben, habe hier auch schon Lesungen abgehalten, und ich kann den Leuten nur sagen: Tja, ihr kriegt was ihr verdient! Und wenn ihr lieber in riesige 5-Tanzflächen-Tempel geht, nur noch zwei Festivals im Jahr besucht und die Einzelkonzerte nicht mehr, dann passiert eben das was hier passiert - diese Szene stirbt aus.
Otti:
Das kann man, finde ich, auch so krass sagen!
Oswald:
Ja, es geht ja nicht nur um diesen Bartzipfel, es geht um die gesamten Subkultur-Szenen, die sind zum Mainstream geworden.
Ich meine, so eine Institution ist natürlich rechts-orientierten Bürgermeistern eher ein Dorn im Auge und ein gefundenes Fressen. Beispielhaft: Mit wieviel tausen Euro hätte man die Zeche Carl retten können? Und wieviele Milliarden wurden jetzt investiert in unsere Banken? Das heißt: Kunst, Kreativität und Andersdenken haben in unserer Gesellschaft keine Lobby.
Otti:
Genauso hatte ich mir das hier auch notiert, halt diesen krassen Vergleich mit krassen Millionenbfindungen die irgendwelche kompetenten Typen bekommen, und hier fehlen ein paar tausend Euro?
Oswald:
Da steckt sicher auch politisches Kalkül hinter. Das ist natürlich auch gewollt von denen, die da etwas hätten machen können. Denen ist wahrscheinlich ganz lieb gewesen, daß jetzt dieses Kulturzentrum ausstirbt, weil es ja ein Subkulturzentrum ist und kein Opernhaus. Oder ein Theater, das macht sich einfach besser!
Otti:
Vor allem in der Kulturhauptstadt!
Oswald:
Ja... da kann man ja so einen "Schandfleck" wie die Zeche nicht beinhalten. Was ich sehr schade finde. Aber wenn das fehlt, solche Einrichtungen, dann treibt man Menschen in einen Untergrund. Es wird wieder ein neues Rebellentum in Deutschland geben, ich hoffe nicht Terrorismus, aber diese Gefahr besteht auch, das sollten sich manche Leute mal bewußt machen.
Otti:
Dadurch steigt dann auch wieder die Gefahr zum Radikalismus, rechts wie links.
Oswald:
Radikalimus, das kommt noch dazu! Links oder rechts. Jede Form von Radikalität lehne ich ab. Radikale Gedanken? Schön und gut, aber nicht in Taten! Zumindest nicht in solchen, wo man Leute aufgrund einer anderen Meinung einfach attackiert und körperlich angreift.
Otti:
Und vielleicht sogar umbringt.
Oswald:
Das ist dann der Gipfel von Körperlichkeit.
Für mich ist es aber auch nicht überraschend wenn Menschen dann so reagieren. Ja hätten sie halt weniger spekuliert die Banken. Und auch die Sparkassen, und die Kommunen. Jetzt rächen sich diese ganzen Leasinggeschäfte, also ich find das ja wirklich ironisch!
Ich persönlich kann mich darüber lustig machen, ich hab halt kein Geld gespart und hab auch keine Aktien, wodurch mich das jetzt nicht persönlich trifft. Ich weiß natürlich, daß die Wirtschaft dadurch jetzt mächtige Probleme bekommt, das sieht man ja auch schon, aber ich denke ein paar Leuten hat es mal ganz gut getan, was auf die Fresse zu bekommen. Die Allmacht und die Selbstherrlichkeit von Bankmanagern, die der Politik immer vorschreiben wollten was diese zu tun und zu lassen hätte, das wird jetzt eindeutig mal etwas gekappt.
Und wenn die Politiker jetzt vernünftig sind, stellen sie die jetzt untrer eine Aufsicht, daß sowas nicht nochmal vorkommt.

Otti:
Ist jetzt nur die Frage, wie lang das jetzt vorhält.
Oswald:
Wenn die Gesellschaft wieder satt ist, es ihr egal. Aber Demokratie funktioniert! Man sieht es jetzt in Bayern, Demokratie funktioniert, und Ich bin mit dran schuld, daß dieser sanfte Umsturz in Bayern stattgefunden hat... Weil: Ich hab die richtige Partei gewählt!
Otti:
Ich frag jetzt mal nicht welche.
Oswald:
Das würde ich jetzt auch nicht sagen, wir sind ja in einer Demokratie mit freier und geheimer Wahl.
Otti:
Aber es wird nicht die CSU gewesen sein. ;)
Oswald:
Das kann ich so sagen, ja, daß es nicht(!) die CSU war.

Otti:
Du hast vorhin schon Zeitenwände erwähnt. Ich hab zuhause so ein interessantes Büchlein namens Pfingstgeflüster, und da hat der Markus Förster, dein Co-Autor, sich drin geäußert. Und zwar hat er sich da eher kritisch gegenüber dem Publikum ausgesprochen.
Oswald:
Zum Thema Toleranz auch.
Otti:
Ja. Wie hast Du das wahrgenommen? Waren die Leute wirklich so ablehnend?
Oswald:
Das ging ja auch nicht nur allein gegen das Publikum, wir hatten eigentlich ein sehr gutes Publikum. Die Leute, die da waren, waren ja auch mehr oder weniger begeistert. Es ging durch unsere Crew ein Problemfaden, es waren Leute im Schauspielerkreis, die sich komplett abgrenzen wollten von dem Publikum, welches da gekommen ist. Das war für mich auch jetzt ausschlaggebend dafür, das nur einmal aufzuführen. Wenn Leute so engstirnig sind und sich nicht auf etwas neues einlassen wollen, dann will ich mit denen eigentlich nichts zu tun haben.
Otti:
Aus Publikumssicht habe ich es so gesehen, daß die meisten Leute es recht Klasse fanden, aber es gab zwischendurch auch Leute die sich gefragt haben: "Was will der uns da eigentlich erzählen?"
Oswald:
Natürlich! Es ist ja auch so. Ich hab das Stück mitgeschrieben, habe es inszeniert und die Regie geführt, und die Vermittlerrolle übernommen, um das Thema so aufzuarbeiten, daß es auch jemand versteht. Ich wollte es nicht für den Dümmsten verständlich machen, und auch nicht leicht verständlich machen. Worum es mir ging war, einen Denkprozess in Gang zu setzen. Nicht wie in der Disco, wo ich mir irgendwelche Geräuschkulissen um die Ohren hauen lasse, einen synthetischen Cocktail mische oder eben Alkohol konsumiere, um mich dann wegzubeamen und am nächsten Tag mit Kopfschmerzen aufzuwachen und mich sonst an nichts mehr zu erinnern.
Ich wollte, daß diese Inszenierung einen Eindruck hinterlässt bei den Leuten. Egal ob sie es jetzt gut oder schlecht finden. Also entweder oder, aber sie sollten nicht das Gefühl haben, es war ganz nett. "Ganz nett" will ich nicht sein! Wenn jemand sagt "Der redet Schwachsinn, das ist nicht meine Wellenlänge", kann ich da prima mit leben, aber es gibt eben auch Leute die sagen: Hey, ja genau so ist es!
Otti:
Vor allem, daß man wirklich drüber nachdenkt.
Oswald:
Genau! Die Frage nach dem Sinn dahinter stellen. Das Thema mit der Casting-Show, vielleicht sind wir in zehn Jahren so weit, daß so etwas passieren kann.


"Ich kann mit diesem ganzen Elektrokram nix anfangen, der so pseudodüster daher kommt und in jeder zweiten Textzeile ein Blood und ein Kiss enthält."

Otti:
Ich komm natürlich nicht drum herum dich auch noch zu Goethes Erben zu fragen. Gibt es da irgendetwas Neues? Oder sagst Du einfach, das Thema hat sich erledigt?
Oswald:
Das Thema hat sich nicht erledigt, aber es ist in eine unbestimmte Pause geschickt.
Otti:
Hast Du Mindy denn jetzt noch Kontakt?
Oswald:
Natürlich habe ich mit Mindy Kontakt. Sie werde ich wohl hoffentlich jetzt auch in Berlin treffen. Aber Mindy hat im Moment ganz andere Interessen. Irgendwann werden wir mit Sicherheit wieder auf die Bühne zurück kommen. Ob das jetzt nur für ein einzelnes Konzert ist, oder nochmal für irgendetwas Größeres, steht noch nicht fest. Im Moment ist Fakt, daß wir kein neues Album aufnehmen und als CD veröffentlichen möchten. Zur Zeit besteht weder bei ihr, noch bei mir, das Interesse, die Geschichte von Goethes Erben weiterzuschreiben.
Otti:
An Henke arbeitet sie auch nicht mit?
Oswald:
Nein, an Henke arbeitet sie gar nicht mit, ich habe das aber im Vorfeld mit ihr besprochen. Ich hab zu ihr ihr von dieser Idee erzählt, mit Erblast-, Artwork-, und Goethes Erben-Titeln, vielleicht auch noch was von Vox/Zeitgeist, damals war das je ne Auftragskomposition, ein neues Programm auf die Bühne zu bringen, aber halt mit einer komplett neuen Band. Nicht mit Erben- oder Fetisch:Mensch-Musikern, die vor allen Dingen mehr Zeit haben.
Otti:
Vielleicht auch weniger kosten?
Oswald:
Die Kostenreduktion entsteht dadurch, daß ich im Endeffekt nur Leute aus der Region in diese Band geholt habe, oder holen werde. Also eine Position, die des Gitarristen, ist noch unbesetzt, aber das wird sich geben. Zwei Kandidaten gibt es da bereits.
Otti:
Das war ja früher ein Problem, daß allein für dich schon jeder Auftritt horrende Kosten verursacht hat.
Oswald:
Ja, der Bassist kam aus Bremen, die Geigenspielerin kam aus Darmstadt, ein anderer Gitarrist und Mindy waren in Berlin, ich aus Bayreuth usw, also es waren immense Kosten. Alleine schon das Proben, da waren dann immer schon so 500-700 Euro weg, an einem Wochenende. Und das muss erstmal Rückfinanziert werden. Dann noch so nen Troß zu bewegen während einer Torunee, das bezahlt kein Veranstalter mehr.
Fetisch:Mensch sind vier Leute, und das ist schon schwer den Veranstaltern zu vermitteln. Ne andere Band kommt mit ihrem DAT-Rekorder oder ihrem Computer an, vielleicht noch zwei Keyboards und legt los. Die können das in nem PKW oder Kombi transportieren. Wir brauchen mindestens nen 9-Sitzer, nen Sprinter, weil wir noch nen Schlagzeuger dabei haben ,sowie Gitarren-Amps, und ich leg eben wert auch auf eigenes Licht.
Man kann mit relativ wenig Geld etwas auf die Beine stellen, aber ohne Geld geht es nunmal nicht.

Otti:
Das seh ich ja auch als Veranstalter selbst. Ich hab ja nun wieder angefangen zumindest im kleinen Maßstab etwas zu veranstalten. Aber selbst Nachwuchsbands können es sich kaum noch leisten, ein paar Hundert Kilometer zu fahren um sich zu präsentieren.
Oswald:
Die Benzinpreise sind ja explodiert! Der Nightliner hat früher mal 500 DM am Tag gekostet, und der kommt jetzt, wenn man das hochrechnet, auf 800 Euro am Tag! Ja, da hat dann aber noch keiner gegessen, die Technik ist noch nicht bezahlt und auch kein Musiker hat Geld gesehen, wenn man mit Gastmusikern arbeiten muss.
Ich kann nicht 4000-5000 Euro erstmal zahlen um ein Konzert von Goethes Erben auf die Bühne zu bringen, das geht nicht mehr. Außerdem sehe ich da auch keinen Bedarf, muss ich ganz ehrlich sagen.
Otti:
Ich sag mal, wenn es gehen soll, dann müssen genug Leute kommen. Wenn Du wüßtest Du hast ein ausverkauftes Haus, dann sähe die Sache vielleicht auch schon ganz anders aus?
Oswald:
Angebot und Nachfrage bestimmt das. Wir haben uns damals auch für Berlin entschieden, zum Einen, weil Berlin ne interessante Stadt ist, aber wir wussten auch wir müssen das auch nicht mehr transportieren. Da haben wir dann lieber drei Konzerte an einem Ort gegeben. Und dann hat sich das auch refinanziert. Wenn wir noch Reisekosten gehabt hätten, dann hätten wir aber richtig draufgezahlt, selbst wenn es jedesmal ausverkauft gewesen wäre.

Otti:
Kommen wir noch mal zu deinem Buch zurück, bzw zu dessen Titel. Was ist Liebe für dich, eine Droge?
Oswald:
Liebe? Das geht schon los bei der Frage, wie definiert man Liebe? Es gibt ja die "Klassische Liebe", und die eigentlich wahre Liebe ist ja die Mutterliebe, denk ich. Das ist die innigste Liebe die man sich überhaupt vorstellen kann. Natürlich nur wenn es eine gesunde Konstellation ist. Oft werden Kinder auch vernachlässigt, aber das hat wohl mit psychischen Defiziten und mangelnden Sozialkompetenzen zu tun.
Aber in der Regel ist die Liebe zwischen Mutter und Kind das innigste, was passieren kann, noch inniger als zwischen Paaren. Ich habe zwar keine Kinder, aber in meinem Bekanntenkreis konnte ich aber immer wieder feststellen: Sobald ein Kind da war hat sich auch die Beziehung verändert. Da war dann nicht mehr die Partnerschaft im Mittelpunkt, sondern das Kind, die Familie. Das finde ich sehr spannend und interessant.
Die Liebe hat bei Ich habe mir die Liebe abgewöhnt und bin doch weiter süchtig auch etwas mit einer Metapher auf Goethes Erben zu tun, aber auch mit einer sehr dunklen Zeit, die parallel mit den letzten Phasen von Goethes Erben verlaufen ist.
Otti:
Inwiefern jetzt?
Oswald:
Ja, ich war damals einfach auch wirklich verliebt! Man mag es kaum glauben, aber auch mir konnte das passieren, und es endete nicht gut.

Otti:
Kommen wir mal langsam zum Ende. Jetzt noch eine nicht ganz so ernst gemeinte Frage: Wer von diesen Dreien hat deiner Ansicht nach das Ansehen von Bayern am positivsten beeinflußt: Ratzinger, Stoiber oder Mittermeier?
Oswald:
(lacht) Gar keiner von denen! Ich würde sagen, im Moment ist der Einzige, der mir in Deutschland wirklich gefällt, Marcel Reich-Ranicki. Weil der Mann traut sich mit 88 Jahren, einfach weil er auch keinerlei Verpflichtungen hat, das zu sagen, was vielleicht manche Menschen denken, aber sich nicht wagen auszusprechen. Er hat das so auf den Punkt gebracht - Hut ab, wenn ich einen tragen würde!

Art des Interviews: Email
10/14/08 by Otti
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