2020 hätte ihre große Jubiläumssause werden sollen, doch dann kam Corona. Nun bringen In Extremo zumindest ihr neues Album Kompass zur Sonne mit kleiner Verzögerung auf den Markt und machen auch ansonsten das Beste aus der Situation. Anlässlich der neuen Platte stand uns Drummer Specki T.D. nicht nur zu selbiger Rede und Antwort, sondern zieht im Interview auch ein Resümee zur bisherigen Corona-Zeit und blickt mit einem lachenden und einem weinenden Auge in die Zukunft.
Otti:
Als ihr seinerzeit - wahrscheinlich kurz nach der Veröffentlichung von Quid Pro Quo - mit den Arbeiten am neuen Material begonnen habt, war Euch die Himmelsrichtung gleich bewusst, der ihr folgen würdet?
Specki T.D.:
Nach der Veröffentlichung von Quid Pro Quo mussten wir nach dem Promo-Run zunächst etwas Luft holen. Ähnlich wird es uns gewiss in den nächsten Tagen gehen, wenn dann Kompass zur Sonne "endlich" das Licht der Welt erblicken durfte. 2016, als Quid Pro Quo kam, ging es dann verschärft mit viel Touren los. Wir haben mit dem vorherigen Album ja wirklich sehr fleissig live gespielt, ehe wir uns Gedanken über neue Songs oder gar eine fokussierte Marschrichtung für Kompass zur Sonne machen konnten. Manche Dinge brauchen etwas länger und werden am Ende trotzdem gut!
"Viele Künstler werden den Kampf gegen die Zeit leider verlieren... "
Otti:
Was sind allgemein die wichtigsten Eckpfeiler, auf denen Ihr ein neues In Extremo Album aufbaut?
Specki T.D.:
ERFAHRUNG! Wir werden in diesem verflixten Jahr 2020 genau ein Vierteljahrhundert alt... Wenn du 25 Jahre Straight deinen Stil verfolgst, ihn verfeinerst, ihn weiterentwickelst und nicht stehen bleibst, sind die Eckpfeiler recht schnell ermittelt. Wir können auf einen tiefen Pool an Ideen und eben Erfahrungen zurückgreifen - das macht total Spaß, dann von der Leine gelassen zu werden!
Otti:
Und konkret bezogen auf Kompass zur Sonne - was habt ihr hier an neuen Ideen und Kniffen ausprobiert?
Specki T.D.:
Wir haben das beste aus 25 jähren InEx in einen großen Sack gehauen. Fremde Sprachen, ausgestorbene Sprachen, eine kräftige Portion Mittelalter, fette Riffs und Grooves.... eigentlich das Erfolgsrezept der Band.
Otti:
Während der ersten zwei, drei Durchläufe hat sich bei mir als einer von mehreren Favoriten Lügenpack herauskristallisiert. Aus tiefstem Interesse: Auf welchen Erfahrungen und Gedankengängen beruht der Song?
Specki T.D.:
Der Arbeitstitel war "die Zunge", wie das gleichnamige berühmte Gedicht. Ich denke, einer unserer gesellschaftskritischsten Songs in unserer Ära. Die Zunge ist ja unser Sprachorgan schlechthin. Welchen Schmerz sie anrichten kann, haben die meisten von uns schon mal erfahren müssen. Ein wirklich krasser Muskel! Ganz besonders gut gefällt mir die Textzeile "Wir treiben euch nun aus der Stadt... und jagen euch mit dem Dudelsack!" Mehr InEx geht irgendwie nicht!
Otti:
Oberflächlich betrachtet ziehen sich die Themen Seefahrt und Reisen durch das Album, wobei ich nicht das Gefühl habe, es mit einem Konzeptalbum zu tun zu haben. Wo sind denn für Dich die Bindeglieder zwischen den Stücken, also was macht für Dich den berühmte "roten Faden" des Albums aus?
Specki T.D.: In Extremo braucht meines Erachtens kein Konzeptalben, weil die Band an sich schon ein sehr eindeutiges Konzept mitbringt. Unsere Bühnenshows, Flammenwelten, der Dreck des Mittelalters, die Pestkarre, die imaginär durch den cd-player geschoben wird... das Konzept sind WIR! Und ich denke auch, dass wir somit den roten Faden darstellen. Das schöne ist, dass wir eine Spartenband sind, die diese Sparte auch noch erfunden hat. Da brauchst du kein anderes Konzept mehr.
Otti:
Wenn Du jetzt auf die gesamten Entstehungsphase von Kompass zur Sonne zurückblickst, was waren die größten Herausforderungen, die Ihr bewältigt habt?
Specki T.D.:
Wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen war die Lungenkrankheit von unserem Gitarristen Basti. Da hat es uns schon ganz schön ins Essen gehauen! Die Songwritingphase musste unterbrochen werden und auch eine lange Russlandtour, mit zusätzlichen Shows in der Ukraine und Weissrussland, musste verschoben werden. Rein musikalisch gesehen ist es aber immer wieder sehr spannend, diesen bunten Haufen, an schier unzähligen Instrumenten, unter ein Hut zu bekommen. Wir sind aber nach all den Jahren auch sehr gut und schnell in dem geworden, was wir tun! :-)
Otti:
Das allgegenwärtige Thema momentan ist natürlich Corona. Im vergangenen Jahr durfte ich Euch noch auf einigen Festivals erleben, für 2020 herrscht diesbezüglich Stille. Wie fühlt sich diese Situation für Euch als Spielleute an?
Specki T.D.:
Tja. Du wirst nur ein mal im Leben 25! Das Jahr 2020 sollte ein fulminantes Jubiläumsjahr werden. Ein neues Album. Eigene Festivals zum 25-jährigen. Ein Jahr mit allem Pipapo und allem erdenklichen Schischi.... Und nun sitzen wir zuhause und warten, dass die bereits verschobene Platte (ursprünglich hätte sie am 27.3. kommen sollen) endlich die Gehörgänge unserer Fans erreicht - ganz ehrlich: Wir hatten für 2020 deutlich schöneres geplant - aber ihr alle schließlich auch... Wir sitzen im gleichen Boot und werden aber bald wieder mit den Fans gemeinschaftlich durchdrehen! Wir freuen uns schon wahnsinnig drauf!
Otti:
Zu Euren Highlights jedes Jahr zählt doch mit Sicherheit die "Burgentour". Gerade was das angeht, welchen Schaden hinterlässt da der komplette Ausfall dieser Events?
Specki T.D.:
In erster Linie schädigt er unser langersehntes Jubiläum! Es tut wirklich weh, das alles nun nicht gebührend feiern zu dürfen.... Aber hey - scheiß drauf! Wir feiern dann um so heftiger 2021 nach! Und das mit Ansage! :-)
Otti:
Der Lockdown hat uns alle getroffen, wenn auch mit mehr oder minder starken Auswirkungen. Was waren für Euch die größten Herausforderungen in den letzten Wochen?
Specki T.D.:
Unsere Fans bei Laune zu halten und die längere Wartezeit bis zur VÖ zu versüßen! Wir haben einige tolle Fanaktionen online gemacht. Der Zuspruch war echt überragend! Wir haben die besten, treuesten und verrücktesten Fans der Welt! Das wissen wir schon lange - aber jetzt hat sich ´s nochmal so richtig bewahrheitet! Danke an alle!!!
Otti:
Und was hat Dich in dieser Zeit am meisten überrascht oder gar erschrocken?
Specki T.D.:
Am meisten haben mich Leute erschrocken, die anfangs gesagt hatten, dass sie die eisenhart zuhause absitzen werden. Einige von ihnen waren die ersten, die dann "weich" geworden sind und sich ständig verabredet haben. Außerdem denke ich, dass es vielleicht sogar ein paar wenige positive Seiten mit sich gebracht hat. Obendrein merken wir mal wieder, wie angreifbar und verletzlich wir doch auch alle mit unserer schnellen, überzüchteten Welt sind. Jeder von uns wird viel draus lernen und mitnehmen.
In Extremo - Troja:
Otti:
An dieser Stelle komme ich nochmal zurück zum Album: Saigon und Bagdad greift ja ganz klar den ewigen Irrsinn immer wieder neuer Kriege auf. Auch während der Corona-Krise gehen die bewaffneten Konflikte weiter, und es wird weiter aufgerüstet. Manche glauben, dass die Krise eine Chance für uns darstellt, eine bessere Welt zu schaffen. Wie siehst Du das?
Specki T.D.:
Besser wird die Welt dadurch wahrscheinlich (leider) nicht werden. ABER wir haben einen vielleicht überfälligen Schuss vor den Bug bekommen, und der trifft viele von uns HEFTIG! Wenn ich mir allein die Musik- und Veranstaltungsbranche angucke, kommen noch einige dunkle Monate auf uns zu. Viele Künstler werden den Kampf gegen die Zeit leider verlieren...
Otti: Kompass zur Sonne enthält auch wieder die eine oder andere Hymne, die schlicht zum (gemeinsamen) Feiern einlädt. Was bedeutet Euch Geselligkeit?
Specki T.D.:
Ich denke, dass die meisten unserer Hörer durchaus wissen, dass wir langen, durchzechten Nächten sehr wohlgesonnen gegenüber stehen. Wir meiden auf Tour keinem Kater. Wir lieben es, zusammen mit Band und Crew unterwegs zu sein und die Welt zu bereisen. Die Feierhymnen, wie zum Beispiel Reiht euch ein ihr Lumpen oder der Biersegen kommen ja nicht von ungefähr. In all unseren Liedern steckt nicht nur Leidenschaft, Hingabe und Überzeugung - sondern auch Wahrheit!
Otti:
Wie "systemrelevant" sind für Dich Kulturbetriebe und Gastronomie?
Specki T.D.:
Die Gastronomie ist für mich zu 100% systemrelevant! Leute zu vereinen, ist nicht nur der Job des Musikers. Auch Clubs und Kneipen, Restaurants und Bars sind wichtige Kulturstätten, um der Gesellschaft Luft zum Atmen, Geniessen und Gas geben zu bieten. Ein wichtiges Ventil für uns alle! Ich vermisse es sehr, mich mit Freunden bis in den Morgengrauen am Tresen einzusprechen!
Otti:
Und um das Interview ganz allgemein mit etwas fröhlichem zu beenden: Was ist der erste Musiker-/Spielmannswitz, der Dir spontan einfällt?
Specki T.D.:
Naja - ich bin kein freund von Musikerwitzen... Aber der hier könnte in die aktuelle Lage passen. Hoffentlich wird das nicht für viele von uns bald Wahrheit werden:
"Was sagt ein arbeitsloser Musiker zu einem, der Arbeit hat? - Einmal Currywurst mit Pommes bitte!"
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