|
In Zeiten von Supernanny und Wirtschaftskrise verwundert es sicher kaum jemanden, daß der gemeine Deutsche sich in die Vergangenheit zurücksehnt. Und damit meinen wir jetzt nicht jene Epoche, in der ein verwirrter Ösi-Eunuch wegen seiner Komplexe und Neurosen Millionen von Menschen in den Tod riß, sondern die goldene Ära hunderte Jahre zuvor, als strahlende Ritter sich noch gegenseitig Lanzen in den allerwertesten schoben, Bier selbst Kindern als tägliches Brot diente, und die sonntägliche Hexenverbrennung ein legitimes Mittel zur Erziehung des weiblichen Geschlechtes darstellte: Das Mittelalter.
Böse Zungen behaupten ja, damals war es noch viel schlimmer als heute. Aber wer sowas erzählt glaubt auch, daß es Massenvernichtungswaffen im Irak gab, und daß Papa Bene vom lieben Gott auserwählt wurde. Früher gab es Pest und Cholera, heute Schweinegrippe und DSDS, da kann sich selbst jeder Dschungelcampbewohner ausrechnen, wie erholsam der Alltag unserer Vorfahren gewesen sein muss. Den Beweis hierfür liefern die Menschen sich selbst, indem sie wieder die Musik von damals auf den (elektronisch verstärkten) Instrumenten von damals spielen, sich mit Bier und Honigwein die Kante geben, und mittelalterliche Märkte mit authentischem Handwerk, Waren und allerlei Brimborium aufziehen.
Lupus bewirbt sich für die WM in Südafrika
Allerdings muss man sagen, daß dieses Phänomen ausgerechnet hier am Niederrhein lange Zeit kaum wahrzunehmen war. Zwar haben wir hier viele alte Burgen, Kirchen und Menschen, die dem Augenschein nach Zeitzeugen des Mittelalters gewesen sein dürften, das Marktwesen und die Szene als solche waren aber im Vergleich zum Rest der Republik nur kümmerlich vertreten. Xanten, als eine der ältesten Städte Deutschlands und ehemalige Römerkolonie quasi ein Inbegriff historischen Lebens, stellte dabei eine rühmliche Ausnahme dar. Doch selbst das dortige Siegfriedsspektakel war noch vor ein paar Jahren, bei meinem letzten Besuch dort, eher überschaubar und gemütlich. Damals gab es eine Bühne mit Kleinkünstlern, ein aus ein paar Zelten bestehendes "Lager", und eine handvoll Verkaufs- und Essensstände. Nichts weltbewegendes, aber für den Familienausflug am Sonntag durchaus eine Reise wert.
Seitdem hatte ich das "Spektakel" immer verpasst, was ich zwar schade fand, aber ob des Wissens, daß es viele beeindruckendere Märkte gibt, die ich auch immer wieder besucht hatte zwischenzeitlich, glaubte ich nicht etwas Wichtiges verpasst zu haben. Vor zwei Wochen dann etwa stieß ich zufällig beim Stöbern im Nightshade-Eventkalender auf den von mir irgendwann einmal gemachten Eintrag zum Siegfried-Spektakel 2009, und da ich für besagtes letztes Wochenende sonst nix wichtiges vorhatte, sah ich hierin eine gute Gelegenheit mich für den Festival- und Marktsommer mit einem beschaulichen kleinen Event aufzuwärmen. Immerhin waren Schelmish als Band angekündigt, so schlecht konnte es ja nun nicht werden.
Wie gut diese Idee doch war! In Begleitung meiner Mutter, die ebenfalls gerne mal in die Scheinwelten solcher historischer Märkte abtaucht, erreichten wir das Tor zum Parkgelände im Herzen Xantens. Am Eingang noch zwei alte Freunde von mir (Pogo und Daggie) getroffen, stellte sich schnell heraus, daß aus dem süßen Kinder-Märktchen ein ausgewachsenes und beeindruckendes Spectaculum geworden ist. Neben dem etwas abgespaltenen Wikinger-Lager war der eigentliche Mittelaltermarkt mittlerweile so dermaßen angewachsen,daß Stände und Schausteller sich aneinanderreihten wie kleine rechteckige Steinchen am Domino-Day, und genauso ausgedehnt und scheinbar endlos wie die RTL-Show zog sich auch dieser Flecken dahin.
Neben der Musikbühne und dem (in meinen Augen etwas knapp bemessenen) Schaukampfplatz für die Ritterspiele, waren auch eine Falknerei, der obligatorische Badezuber und weitere Attraktionen als Blickfänge vorhanden, und zwischen all dem trieben die Gaukler Lupus und Jolando vom Birkenschwamm ihr Unwesen, wobei vor allem letzterer zu später Stunde und mit sehr hohem Alko-Pegel (der Met war mit mir!) mir überraschend viel Amüsement brachte. Eigentlich langweilen mich die meisten Gaukler ja sonst eher.
|
Sackpfeiferich
|
Schön an diesem Markt in fast heimatlichen Gefilden war natürlich auch die Fülle an Begegnungen mit netten Freunden und Bekannten. Camilla, Etienne und unser Hofberichterstatter Ralle sind ja schon nahezu obligatorisch zu solchen Gelegenheiten, aber auch die (hoffentlich) angehende Nightshade-Redakteurin Nadine und viele andere liebe Menschen begegneten mir im Laufe des Tages, und bestärkten das Gefühl "zuhause" zu sein.
Besonders interessant ist für mich freilich auch immer das musikalische Rahmenprogramm. Das bestand in diesem Fall vor allem aus Schelmish, welche insgesamt drei Vorstellungen an diesem Tage geben sollten, und anscheinend auch auf einer Hochzeit auf dem Markte Gastkapelle spielten. Die dicken Damen und Herren überzeugten bei ihren Auftritten wie gewohnt durch Charme, Witz und ihre dicken Säcke+Rohre, und sorgten somit standesgemäß für beste Unterhaltung. Ich selbst habe indes nur die beiden Nachmittagsvorstellungen verfolgt, bei denen mir allerdings dann persönlich etwas der Gesang gefehlt hat... Reine Drums & Pipes kann ich zwar auch ab und zu hören, aber langfristig, und über die Länge eines ganzen Konzertes, ist mir das allerdings doch zu eintönig. Wenigstens haben Schelmish das Programm durch ausgedehnte und pointierte Ansagen dermaßen aufgelockert, daß mein Zwerchfall am nächsten Tag Muskelkater anmelden mußte.
Daneben haben sich die netten Jungs vom Duo Obscurum spontan für diesen Markt mit einer anderen Musikanten-Truppe zusammengeschlossen, und unter einem (mir leider entfallenen) Namen spontan ein Quartett gebildet und der johlenden Menge eingeheizt haben. Solcher Kurzweil ist es, der einen Markt zu einem schönen und familiären Erlebnis macht.
Und so war das 7. Siegfried-Spektakel zu Xanten vor allem eines: Ein erfüllendes Erlebnis! Man sollte sich halt nicht von Erinnerungen abschrecken lassen, auch Veranstaltungen können über sich hinaus wachsen, und dieser Markt ist sicherlich zu einem reifen, eindrucksvollen Event geworden. Man sieht sich hoffentlich im nächsten Jahr.
Erste Galerie
Zweite Galerie
Wie Du uns unterstützen kannst:
Dir gefällt unsere Arbeit? Das ist toll! Allerdings kostet sie Zeit und Geld, daher würden wir uns wir uns über die Zahlung einer freiwilligen Lesegebühr freuen! Auch mit dem Einkauf in einem unserer Shops kannst Du uns unterstützen:
|
eBay |
Cardmarket |
Booklooker |
Kleinanzeigen
|
Zudem würden wir uns freuen, wenn Du einen eventuell vorhandenen "Adblocker" deaktivierst und/oder unsere Website und Inhalte in die Welt teilst. Vielen Dank!
|
|