„Als ich als Teenager mit dieser Band begann, saßen wir herum und sagten. „Was wollen wir eigentlich damit erreichen?“
Jaz Coleman, König der Kriegsgesänge von Killing Joke, nimmt einen langen Zug aus einem Glas Cola mit Rum, gefolgt von einem gedankenvollen Zug an einer rasch zerfallenden Zigarre.
„Die Antwort auf diese Frage war, dass wir andere Menschen inspirieren wollten“, sagt er. „Wir hatten die Idee, Killing Joke als Spiegel zu betrachten. Und was man in uns sieht, kann man auch selbst tun – so dass das Publikum die Bühne ist und die Bühne das Publikum.“
Wenn man danach gehen kann, wie eine stetig wachsende Armee von Gruppen ihre Inspiration von Killing Joke bezieht, dann hat Coleman sein Ziel erreicht. Der Einfluss der britischen Band auf international anerkannte Gruppen wie Nirvana, Metallica, Nine Inch Nails und Ministry ist ausführlich dokumentiert worden. Eine ganze Generation von Death Metal Bands – wie zum Beispiel Fear Factory, die gerade eine neue Version von `Millennium` aufgenommen haben – haben Killing Joke ihre Ehre erwiesen. Aber ebenso tat dies Kate Bush, die ein langjähriger Fan der Gruppe ist. Auf einer ihrer Singles (Hounds Of Love), ist sogar der Original-Killing Joke-Bassist Martin Glover mit von der Partie.
„Wir haben ein sehr eklektisches und leidenschaftliches Underground-Publikum“, sagt Coleman. „Wir sind keine Band, die jemals großen Pop-Reiz hatte. Aber in 27 Jahren begegnet man jenen auf dem Weg nach oben und winkt ihnen auf dem Weg nach unten auch wieder zu. Also denke ich, dass wir den richtigen Pfad beschritten haben.“
Der jüngste Schritt auf diesem Weg ist das letzte Live-Album `XXV Gathering: Let Us Prey`, eine kolossale Darbietung von Songs, die die gesamte Karriere der apokalyptischsten Band in der Geschichte des Rock ’n’ Roll umfassen. Das Album, aufgenommen bei einer Show in Shepherds Bush Empire in London im Februar 2005, steckt voller altersloser Aggression, Düsternis und stürmischer Schönheit. Jene Fans, die das Glück hatten, diese Show mitzuerleben, werden sich erinnern, wie Gitarrist Geordie, Bassist/Keyboarder Raven and Drummer Ben Calvert große Blöcke von elektrischem Lärm und Stammesrhythmen herausmeißelten, während Coleman mit blutrot bemaltem Gesicht und aus schwarzgeschminkten Augen glotzend, die Texte zu `Communion`, `Wardance` und `Requiem` donnerte, als hätte ihn eine schreckliche Demenz gepackt.
„Auf die Konzertbühne gehe ich sehr bewusst, um mich von vielen Dingen zu befreien“, sagt Coleman. „Ich unterscheide dieses Wesen von der Person, die jetzt hier sitzt. Für mich ist es ein Ritual und kein verdammtes Konzert. Es ist ein ursprünglicher Ort, zu dem ich gehe. Wenn die Show wirklich gut ist, kann ich mich anschließend kaum an etwas davon erinnern. Ich strebe danach, aus meinem Körper herauszukommen und erreiche die wahre Intensität. Und hinterher verspüre ich ein tiefes Gefühl der Ruhe.”
Coleman weiß nicht, wie viele Auftritte Killing Joke hatten. Aber nach Schätzungen muss es um die 3.000er-Marke liegen. Doch, wie er dem Publikum in Shepherds Bush Empire erzählte, ist ihm immer noch der erste Eindruck in Erinnerung, als er in das Probenstudio gegangen ist, „mit Big Paul [Ferguson], der nicht mehr unter uns weilt, Gott schütze ihn; und mit Geordie, und wie wir dann nur diese einzige Note gespielt haben.” Das Resultat war Killing Jokes allererster Song `Are You Receiving Me?`, eingefangen in einer Darbietung, die ein Level an Leidenschaft, Gefahr und Verpflichtung umfasst, das bis heute mit jedem Ton so durchdringend wirkt wie 1978, als die Gruppe zum ersten Mal nur eine Meile weiter unten in Notting Hill Gate zusammengetroffen ist.
Als ihre im Eigenvertrieb verkaufte EP ‘Turn To Red’ in John Peels Postfach landete, war er dermaßen beeindruckt, dass er in dieser Nacht alle drei Tracks in seiner Radioshow spielte und sich auch weiterhin für die Band einsetzte – unter anderem mit verschiedenen Live Sessions, von denen eine zu den meistgesuchten in der Geschichte der Peel Sessions zählt.
Ihr Debütalbum `Killing Joke`, das 1979 veröffentlicht wurde und dessen Nachfolger `What's THIS for...!` (1981) brachten den Ärger und die Energie des Punk in das neue Jahrzehnt. Die Gruppe reiste nach Deutschland, wo sie mit dem erfahrenen Produzenten Conny Plank arbeitete, der durch seine Arbeit mit Can an deren drittem Album `Revelations` (1982) zu Ruhm gekommen war.
„Das Verständnis von Killing Joke als einer Rockband, die in der europäischen Tradition agiert, war immer wichtig für mich“, sagt Coleman. “Sie ist definitiv nicht vom amerikanischen Blues angeregt worden – so etwas passt nicht in meine Welt. Ich sehe Killing Joke eher als Teil der modernen europäischen Folk-Tradition.“
Martin Glover verließ die Band vor einer Europa- und Amerika-Tour im Jahr 1982, in dem sie auch das Live-Mini-Album `Ha!` herausbrachten. Es war die erste Veröffentlichung mit Paul Raven am Bass.
`Fire Dances` (1983) und `Night Time` (1985) repräsentierten einen hohen Standard für Killing Joke, sowohl künstlerisch als auch kommerziell. Sie spielten als Gruppe mit einer unglaublichen Power und Bedrohung, derweil ihre Fähigkeiten als Songwriter sich nunmehr zu einem Punkt entwickelt hatten, an dem sie mit einer Top 20-Single herauskommen konnte, dem in der typischen Stimmung gehaltenen, aber sehr melodischen `Love Like Blood`.
m Jahr 1985 waren sie Headliner des Freitagabends beim Reading Festival. Es wurde dunkel, und in dem Moment, als die Band auf die Bühne ging, zog eine riesige Gewitterwolke über das Gelände. „So ist das gewöhnlich”, sagt Coleman. „Ich erinnere mich an Reading. Dort haben wir gute Kritiken bekommen. Aber ich hab’ mich nicht wohl gefühlt. Festivals haben sich zu solch großindustriellen Ereignissen entwickelt“.
Dann nahm die Band einen stilistischen Umweg in Richtung eines stärker durch Keyboards dominierten Sounds bei `Brighter Than A Thousand Suns` (1987) und `Outside The Gate` (1988). Anschließend gab es eine Periode mit ziemlichem Aufruhr, und die Gruppe brach zeitweilig auseinander.
1990 kehrten sie mit dem früheren Public Image Limited-Drummer Martin Atkins zurück und veröffentlichten `Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions`. An `Pandemonium` (1993) arbeitete die Gruppe wieder einmal mit Vollgas, was zu ihrem bis dahin meistverkauften Album führte, während `Democracy` (1996), bei dem auch Martin Glover zeitweilig in ihre Reihen zurückkehrte, sich zu einem weiteren Klassiker entwickelte und von einem Kritiker als „die brutalste, barbarischste, blutdürstig herausschießendste, härteste, bösartigste, entsetzlichste Attacke, die sie jemals verbrochen haben“, beschrieben wurde. Er hat es begriffen.
Die Gruppe pausierte bis zur Veröffentlichung von `Killing Joke` im Jahr 2003 – dem zweiten Album, das den Bandnamen als Titel trägt. Mit der aktuellen Besetzung, die sich mit Coleman, Geordie and Raven bildete (und die alle gemeinsam die meiste Zeit im Jahr in Prag nah beieinander wohnen), hat die Band einen neuen Höhepunkt an Reife und Stabilität erreicht Ist Schlagzeuger Ben Calvert jetzt ein richtiges Mitglied von Killing Joke?
„Aber natürlich ist er das”, sagt Coleman. „So lange er sich benimmt. Aber die Entscheidung wird immer von Geordie, Raven und mir gemeinsam getroffen.”
Die Väter von Geordie und Coleman starben beide in dem Zeitraum, in dem die Aufnahmen für das Live-Album entstanden, wie Coleman in seiner Einführung zu `Love Like Blood` feststellte, das er ihren Vätern widmete, „den zwei Rons“. „Unsere Väter kannten sich, und sie waren beide Waldarbeiter”, sagt Coleman. „Mein Vater baute Violinen. Geordies Papa war ein Möbeltischler, er machte alles aus Holz. Die Killing Joke-Familie existiert auf mehreren Ebenen. Die letzten drei Jahre meines Lebens sind eine düstere Periode gewesen. Wohl nicht für die Welt, aber für uns emotional. Viele Menschen sterben. Es gab aber auch ein paar kleine Siege.“
Die Düsternis wurde durch die kurze Tour 2005 - als Support der reformierten Mötley Crüe - kaum erhellt. Waren die amerikanischen Rocker eine angenehme Gesellschaft? „Du willst mich wohl verarschen“, platzt Coleman heraus. „Unser Manager wurde gefragt, ob er gern Tommy Lee treffen würde. Also kommt er da ’rein, und Lee hat all diese dumpfen, hirntoten Frauen dort herumsitzen und sagt: 'Ah. Du managst Killing Joke. Sie sind großartig. Ich besitze sechs Alben von ihnen. Was machen die Jungs gerade?' Er wusste nicht einmal, dass wir mit ihnen auf Tournee waren! Das werde ich nie, nie, nie wieder tun.”
In diesem Jahr erhielt die Band auch einen ‘Lifetime Achievement Award’ bei den Kerrang! Awards, womit ihr Platz in der Rockgeschichte zementiert wurde. Der Award wurde ihnen von Dave Grohl überreicht, der selbst ein großer Fan der Band ist und sogar Schlagzeug auf ihrem letzten Album spielte.
Und wie wird es in der Zukunft aussehen? Für 2006 planen Killing Joke eine Wohltätigkeits-Akustik-Tour hinter den „kolonialen Barrieren der Welt”, in deren Ergebnis ein – wie Coleman sagt – preiswertes, nicht auf technischem Höchststand befindliches Akustik-Album entstehen wird. Die Gruppe arbeitet gegenwärtig auch an einem neuen Studioalbum, das Passagen enthält, die in Kriegsgebieten oder an Orten historischer Unruhen aufgenommen wurden: Libanon, Äthiopien, Bolivien, Taiwan. „Dort gibt es Orte, die mir einiges bedeuten”, sagt Coleman. „Es sind Plätze, an denen ich zusätzliche Spannung bekommen kann, wenn ich Overdubs hinzufüge.“ Plant er, in den Irak zu gehen? „Ich denke, das ist derzeit wohl keine gute Idee.“
Das neue Studioalbum mit all dieser „zusätzlichen Spannung“ wird im Jahr 2006 veröffentlicht werden. Coleman beschreibt es als „brutal” und „mehr“ als das letzte Album. „Das Undenkbare wird auf der nächsten verdammten Scheibe sein.” sagt er. „Das Unvorstellbare. Ich denke, es gibt eine große Umweltkatastrophe, wie sie die Karten vorhergesagt haben. Das ist sicherlich enthalten. Ich glaube, dass die Aktivitäten des Homo sapiens von Kräften jenseits des Verständnisses eines normalen Menschen geformt werden. Ich denke, dass die Gesamtheit all dessen, was wir glauben, eine Lüge ist. So ist es mit diesen Dingen. Aber es ist eben auch eine Feier von Zeremonien...“
Genre: Gothic/Rock
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